Noisia – Outer Edges | Album Review
Ein Leak eines Albums schadet jedem, der da mit involviert ist. Selbst der Verursacher profitiert nicht direkt davon. Doch im Jahr 2016 sind solche Dinge leider an der Tagesordnung.
In solchen Momenten ist schnelles und vor allem richtiges Handeln von großer Bedeutung. Das weiß gerade niemand besser, als Noisia.
Sechs Jahre warteten Fans auf ein zweites Album nach „Split The Atom“. Als Releasedate war der 16. September angesetzt, doch am 29. Juli wurde das Album unerwartet herausgegeben. Niemand geht damit so souverän um, wie das Trio aus den Niederlanden, das trotz allem seinen Prinzipien treubleibt. In einem Statement (http://www.noisia.nl/2016/8/outer-edges-album-leak), das drei Tage später auf Facebook und ihrer Website veröffentlicht wurde, schrieben sie Folgendes:
„We believe that users of all platforms should be able to listen to our music pretty much the minute it’s available anywhere else. In this philosophy, the availability of our whole album on illegal download sites means that we have to make it available on all platforms.“
So verkauften sie das Album sofort in ihrem Shop und am 5. August war es auch auf iTunes, Spotify und Co. erhältlich. In einem Monat kommen CD, Vinyl und Merchandise auf den Markt.
Später sagte Thijs von Noisia im Gespräch mit UFK (http://ukf.com/words/everything-need-know-noisia-outer-edges), dass man weniger über den Leak und mehr über die Musik sprechen sollte. Dem pflichte ich natürlich bei. Leider ist es fast unmöglich, über das Album zu sprechen, ohne dabei diese Tatsache zu erwähnen. Doch nun zum Wesentlichen:
„Outer Edges“, veröffentlicht auf dem hauseigenen Label „VISION“, deckt genretechnisch das gesamte Klangspektrum der Band ab. Drum and Bass, Electro House, Dubstep sowie experimentelle Sachen. Die 58-minütige Laufzeit des Projektes setzt sich aus insgesamt 18 Titeln zusammen.
Das Album beginnt mit „The Approach“, einem atmosphärischen Intro, das gut in den zweiten Track übergeht. „Anomaly“ ist eine sehr starke, klassische Noisia-Nummer. Eine echte Ansage direkt zu Beginn des Albums. Bereits der dritte Titel – „Collider“ – ist mein Lieblingslied und generell eines der besten Lieder von Noisia. Besonders der zweite Break sticht heraus.
„Vigilantes“ ist ein sehr unvorhersehbares Lied. Eine interessante Zusammenstellung verschiedener Stile mit hohem Kopfnickpotenzial. Auch hier findet man wieder einen sehr schönen, flüssigen Übergang zum nächsten Track: „Tentacles“. Hier wird extrem kreativ mit der kurzen Vocal umgegangen, was stellenweise auch anstrengend sein kann.
Das erste Drittel des Albums endet dann mit dem in meinen Augen schwächsten Track. Die Bassline ist sehr uninteressant und plätschert mehr oder weniger vor sich hin. Die anderen Elemente schaffen jedoch eine gute Rhythmik. Kein Totalausfall, einfach nicht der Rede wert.
Aber was danach kommt, ist „Mantra“, ein anderer Favorit von mir. Das Lied hat eine interessante Struktur und erinnert an „Could This Be“ von Noisia selbst.
Nach „Surfaceless“, einem melodischen und verspielten Interlude, geht es mit „Straight Hook“ weiter. Hier passen Strophe und Refrain sehr gut zusammen. Alles wird vereint mit einer hüpfenden, staccatohaften Rhythmik. Mit dem Ideenreichtum, der hier in 3:23 Minuten komprimiert wurde, wirkt das Lied etwas kurzweilig.
„Stonewalled“ ist absolut großartig. Der Synthesizer im Mainpart bleibt sofort im Kopf hängen und alles ist sehr experimentell bis zu dem Punkt, an dem man es kaum einem bestimmten Genre zuordnen kann.
Titel 11 ist verhältnismäßig ruhig. Hier findet sich wieder eine eingängige Bassline. Außerdem hat alles einen gewissen Reggae-Charakter. Alles in allem könnte auch dieses Lied ruhig etwas länger sein. „The Entangled“ setzt simple musikalische Mittel sehr stark und effektiv ein, was sehr innovativ klingt. Lediglich die Strings klingen etwas austauschbar.
Mit „Exavolt“ demonstrieren Noisia ihr Talent und die Vorliebe für mühelose, flüssige Übergänge zwischen einzelnen Teilen eines Liedes. Das alles klingt als Gesamtpaket sehr cool und verspielt. „Into Dust“ baut sich über mehr als die Hälfte der Laufzeit auf, bevor es in den gigantischsten und eindrucksvollsten Mainpart des Albums übergeht und dann langsam wieder ausklingt.
Track 15 ist trotz seiner experimentellen Natur in sich sehr stimmig. Es hebt sich zwar vom Rest des Albums ab, passt aber gut in den Flow. „Sinkhole“ ist dann wieder ein absolut bombastisches Lied, das sich anfühlt wie ein akustischer Schlag in die Magengrube. Mit minimalistischen und gleichzeitig räumlichen Klängen wird das buchstäbliche Gefühl eines Erdlochs geschaffen. Dieses Lied wird seinem Titel mehr als gerecht und beeindruckt mich bei jedem Hören wieder.
Der vorletzte Song klingt wie die Titelmelodie des Bösewichtes aus einem Superheldenfilm. Die Vocal wird exzessiv aber kreativ eingesetzt. Das Hören des Outros fühlt sich an, als würde das ganze Album noch einmal in Schnelldurchlauf an einem vorbeiziehen, da es das Projekt in all seinen Facetten verkörpert. Das Thema von „The Approach“ wird hörbar wieder aufgegriffen.
„Outer Edges“ hat eigentlich alles, was ich mir von einem Album wünsche:
Es ist abwechslungsreich, hat genug Variation, das Ganze hat eine kompakte Form, lässt sich problemlos von vorne bis hinten durchhören, es gibt eine große Genrevielfalt in homogenem Gewand und das Wichtigste: Fast jedes Lied ist ein Knaller! Es fällt auf, dass es wenige Vocals und keine Kollaborationen gibt. Wer Noisia will, der bekommt ausschließlich Noisia. Außerdem findet man verhältnismäßig wenig Drum and Bass, was aber nicht stört.
Bei vergangenen Projekten fiel mir ihre Neigung dazu auf, aller zwei bis drei Lieder ein Interlude einzustreuen. Das ist hier zum Glück nicht so. Lediglich Anfang, Mitte und Ende werden mit kürzeren Stücken ausgeschmückt, wodurch das Album als Ganzes eine klare Linie aufweist.
Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass das Album in drei Akte geteilt ist. Das erste Drittel besteht aus schnörkellosen Bangern, das zweite aus melodischen, epischen Kompositionen und der letzte Teil präsentiert Sachen experimenteller Natur.
Im Vergleich zu „Split The Atom“ ist diese LP eindeutig die bessere. Doch müsste ich eine Sache nennen, die mir bei Album 2 fehlt, dann wäre es Persönlichkeit. Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt. Vielleicht an dem zuvor erwähnten Mangel an Features. Vielleicht braucht ein langes Noisia-Projekt auch einfach ein paar verrückte Interludes. Das alles ist Meckern auf sehr hohem Niveau, denn „Outer Edges“ ist und bleibt ein sehr gutes Album.
das Album > https://store.visionrecordings.nl/product/vsn025-digital
bei iTunes > https://itunes.apple.com/de/album/outer-edges/id1127791924