Annuluk im Interview
„B*A*M“: Das ist der Titel des neuen Albums der Leipziger Band „Annuluk“. Dessen Veröffentlichung wurde am 24. Juni in der naTo gefeiert!
Diesen Termin ließ Leon Brachvogel sich natürlich nicht entgehen. Genauso wenig wie die Möglichkeit, der Frontfrau Miša zur Veröffentlichung zu gratulieren und das Ganze mit einem Interview zu feiern.
Wie ist das neue Material auf den beiden anderen Konzerten angekommen, die ihr bereits gespielt habt?
Sehr gut! Nach zwei Auftritten kann man natürlich nicht viel Wind machen, aber die Leute sind bisher auf jeden Fall gut darauf angesprungen.
Du singst in einer Fantasiesprache. Sprudelt der Text einfach aus dir raus oder schreibst du ihn vorher auf?
Für mich ist das wie ein Film, der währenddessen abläuft. Diese Aneinanderreihung von Silben geschieht einfach von alleine. Darüber mache ich mir überhaupt keinen Kopf. Natürlich habe ich Bezug zu jedem Song, zu seiner Dynamik und jeder Wendung. Für mich ist das eine Partitur der Emotionen. Ich schreibe nur das auf, was ich im Chor zusammen mit den anderen eingesungen habe. Diese Stellen müssen dann natürlich gleich sein, aber sonst nicht. Das steht nicht in meiner Macht, sondern ist irgendwann einfach in mir drin.
Was würdest du bösen Zungen erwidern, die behaupten, dass es keine Kunst ist, in einer ausgedachten Sprache zu singen?
Roberto [gerade beim Aufbauen]: Da muss ich auch mal was zu sagen! Ich kenne viele Leute, die Musik mit Texten hören, von denen sie kein Wort verstehen. Jeder hört Salsa und keiner versteht spanisch…
Miša: … und dann gibt es eine Sprache, die keine ist und jeder fragt sich: „Was bringt das, wenn ich das nicht verstehe?“ Das ist irgendwie witzig.
Roberto: Es ist halt keine Sprache im klassischen Sinn. Sie fungiert zum Übermitteln von Gefühlen und Emotionen und dient eher als Sprache der Musik.
Miša: Es ist kein Geheimnis, dass jeder Ton im Endeffekt Schwingung ist. Und wenn alles Schwingung ist, dann ist die der Musik definitiv eine absolut universale Sprache für mich. Es ist egal, ob ich eine fremdsprachige Platte höre oder nicht. Ich kann es einfach spüren. Ganz bestimmt gibt es Leute, die sagen, dass meine Sprache sinnlos ist. Das überlasse ich jedem selbst. Ich habe manchmal das Gefühl, dass einfach schon alles gesagt wurde, was ich auch sagen würde; von Leuten wie Bob Marley, Michael Jackson oder Björk. Ich muss nichts mehr sagen. Das wurde zu genüge getan. Für mich ist das Gefühl wichtig. Außerdem sind Worte manchmal sehr verwirrend und werden von jedem so interpretiert, wie er selbst ausgerichtet ist. Dabei hat es derjenige, der es gesagt hat, vielleicht gar nicht so gemeint, wie man es aufgenommen hat. Wir können uns besser verstehen, wenn wir uns spüren.
Wann ist dann ein Lied für dich fertig? Wenn du es spürst?
Ich spüre es eigentlich von Anfang an. Manchmal ist es schwierig, es so umzusetzen, dass das Gefühl bleibt. Das sehe ich als wichtige Aufgabe. Wenn wir uns im Arrangement verstricken, weil es ganz besonders werden soll, kommt es oft vor, dass wir etwas verwerfen müssen, weil wir es nicht mehr spüren.
In deinem Nebenprojekt mit 12INCHKID arbeitest du größtenteils mit elektronischen Einflüssen. Manche davon kann man auch im Klang von Annuluk wiederfinden. Kommt das auch in erster Linie von dir?
Das würde ich nicht so sagen. Wir finden da schon einen gemeinsamen Konsens, was das angeht. Das kommt nicht nur von mir. Wir haben lange pure Weltmusik gemacht, aber ich persönlich finde die Kombination schon immer sehr geil. Im Endeffekt ist das nichts Neues. Was daran neu ist, ist die Art, wie es übersetzt wird.
Wie würdest du denn euren Stil beschreiben?
Es ist schwierig, dass mit 2-3 Sachen zu vergleichen. Es ist eigentlich alles dabei. Ich scheue mich davor, es zu kategorisieren und ich bin auch nicht gut darin. Da haben wir wieder das Problem mit den Worten! Am besten gibt man sich das einfach auf die Ohren und dann weiß man Bescheid.
Ehrt es dich, wenn man deinen Gesang mit dem von Björk vergleicht?
Definitiv!
Hast du das bewusst gemacht oder ist es einfach so entstanden?
Ich höre diesen Vergleich häufig. Das ist der Grund, aus dem ich sagen würde, dass wir vom selben Planeten sind. Leider habe ich nicht so viel Glück und Möglichkeiten auf so ein Level zu kommen, wie sie. Ich glaube, dass ich wegen dem vermittelten Gefühl und meiner Stimmfarbe mit ihr verglichen werde. Das mache ich aber nicht bewusst. Mein größtes Ziel in allen möglichen Feldern ist es eigentlich, authentisch zu sein.
Steckt hinter eurem neuen Album wieder ein Konzept?
Ich weiß nicht, was die Jungs sagen würden und wie das in ihren Köpfen aussieht. Auch, wenn es vielleicht nicht besonders businessfördernd ist, steckt für mich eigentlich kein Konzept dahinter. Ich würde sagen „authentisch“ trifft es am ehesten! [lacht] Authentisch sein und die Musik machen, die einen bewegt. Da steckt kein Konzept dahinter, wie man es von anderen kennt. Wir wollten nichts in einem bestimmten Stil machen, nur, weil dieser gerade im Trend ist.
Was sind Inspirationsquellen für die besondere Musik, die ihr macht? Was hört ihr privat?
Wir hören so viel verschiedene Musik, das würde man gar nicht glauben! Das kommt von überall. Wir hören Musik, sobald sie für uns gut ist. Als Musiker verträgt man eigentlich jeden Stil, solange es gut gemacht, solange es gut gespielt und intelligent ist. Alles, wovon man selbst etwas lernen kann. Es gibt so viel großartige Musik. Wie viele Leben müsste man leben, um all das zu hören? Wir hören extrem unterschiedliche Sachen. Speziell für dieses Album waren die Produzenten der Dubstep-Szene ein ziemlicher Antrieb für mich. Die bewegen mich wirklich! Diese Musik klingt nicht wie „Virtuositätsonanie“, aber wenn man sich damit beschäftigt, weiß man, wie komplex sie ist und wie lange man an so einem Stück arbeitet. Ich verehre Amon Tobin und Mala. Besonders Tobin war eine große Inspiration für diese Platte. Aber die Musik bleibt unsere eigene. Wir sind soundtechnisch noch lange nicht dort, wo wir sein könnten. Jedoch sind wir perfekt in der Phase, in der wir uns gerade befinden. Es ist alles optimal. Wir wissen dennoch, wo Luft nach oben ist.
Zum Abschluss: Welche Frage wolltet ihr als kleine Band schon immer mal gestellt bekommen?
Das ist eine gute Frage! Die wollte ich schon immer mal gestellt bekommen! [lacht]
Mich stört an Interviews, dass man zu wenig Zeit hat für tiefgründige Gespräche hat. Dadurch rutscht man schnell in dieses professionelle Ablabern ab, das man sich auch von anderen abguckt. Das klingt zwar gut, ist aber leider nicht das, was man sich davon erhofft. Ich wünsche mir mehr Zeit und jemanden, der sich wirklich für dich und deinen inneren Prozess interessiert. Und das ist eben nicht nur der musikalische Prozess. Deshalb ist es schön, gefragt zu werden, was man gerne gefragt werden will. Ich mag es nicht, wenn Dinge nur aus Gewohnheit gemacht werden, weil sie funktionieren. Sowas ärgert mich. Ich möchte gerne sehen, dass die Leser oder das Publikum uns auch verstehen, wenn wir sind, wie wir sein wollen. Nicht so, wie man uns gern hätte. Alles andere führt in meinen Augen zur allgemeinen Verdummung der Leute, weil man ihnen dann einfach nichts mehr zutraut. Sowas ist ganz schlimm.
„Beautiful & Massive“: So sieht der Titel in ausgeschriebener Form aus, welche den Klang der Platte perfekt beschreibt. Auch, wenn anfangs durch die Hitze viele Leute im Saal saßen, konnte die Band spätestens im letzten Drittel auch die letzten vor der Tribüne sitzenden Gäste dazu animieren, aufzustehen und sich zu bewegen. Am Ende gab es eine kleine Improvisation und danach wurde das Album zur Feier des Tages buchstäblich mit Sekt getauft. Das Potenzial der kleinen Location wurde gut ausgeschöpft mit einem interessanten Bühnenbild und dazu passenden dezenten Visuals. Wenn man Miša auf der Bühne zusieht, weiß man genau, wie viel Gefühl Musik für sie transportiert.
(Originalbeitrag, Kurzfassung in Printform auf Seite 16-17 des Freshguide MDL 163 AUGUST 2016)